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“Ich kann es einfach nicht lassen” – wenn Ängste und Zwänge den Alltag bestimmen

Neue Therapien versprechen Hilfe

Berlin – Droht mir tatsächlich eine Gefahr oder habe ich Angst in völlig harmlosen Situationen? Ist das ständige Händewaschen noch Routine oder schon ein Zwang? Ängste, Zweifel und Sorgen kennt jeder und jeder wiederholt täglich bestimmte Alltagsrituale. Wenn die Beschäftigung mit sorgenvollen Gedanken oder die Wiederholung immer gleicher Handlungen jedoch überhand nehmen, könnte eine Angst- oder Zwangserkrankung vorliegen.

Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) leiden in Deutschland innerhalb eines Jahres 15 % der Bevölkerung an einer Angststörung. Damit gehören Ängste und die oft damit verbundenen Zwänge zu den häufigsten psychischen Erkrankungen überhaupt.

„Obwohl es viele Überlappungen gibt und die beiden Erkrankungen im internationalen Klassifikationssystem der Krankheiten (ICD-10) unter neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen zusammengefasst werden, muss man eine klare Abgrenzung vornehmen“, erklärt Prof. Dr. Ulrich Voderholzer, ärztlicher Direktor der Schön Klinik Roseneck für Psychosomatik in Prien am Chiemsee und anerkannter Experte auf diesem Gebiet.

Angststörungen haben viele Gesichter: sie können als generalisierte Angststörung, Panikstörung, soziale Phobien oder spezifische Phobien wie Platz- oder Höhenangst auftreten. Die Betroffenen erleiden Angstanfälle und sehen sich in Lebensgefahr in Situationen, die anderen Menschen völlig harmlos erscheinen. Es kommt zu körperlichen Symptomen, wie Schwindel, Zittern, Herzrasen oder Atemnot – und das zum Beispiel, wenn sie sich in einer Menschenmenge oder in einem Aufzug befinden. Aus Angst vor diesen Reaktionen vermeiden sie die Situationen, die die Angst auslösen könnten. Die Angst vor der Angst verstärkt die Angst. Ein unüberwindbarer Kreislauf entsteht.

Zwänge dominieren oft den ganzen Alltag

Zwangserkrankte hingegen verspüren einen starken inneren Drang, Dinge immer wieder zu denken oder zu tun, die sie eigentlich für unsinnig oder übertrieben halten. Im Gegensatz zu Ängsten, die meist einen konkreten Auslöser haben, treten Zwangsgedanken völlig unkontrolliert auf. „Bei spezifischen Phobien wie z.B. Platzangst können die Betroffenen im Alltag oft noch gut zurechtkommen, indem sie diesen Situationen aus dem Weg gehen“, so Prof. Voderholzer. „Bei Menschen mit Zwängen ist das oft viel schwieriger, denn Zwangsgedanken treten oft permanent im Alltag auf und auch Auslöser wie z.B. Schmutz und Verunreinigungen lassen sich im täglichen Leben nicht vermeiden. Zwangssymptome dominieren so oft das ganze Leben der Betroffenen.“

Vielen Zwangsgedanken und -handlungen liegen konkrete Ängste zu Grunde. Typische Ängste in diesem Fall, sind die Angst vor Ansteckung, die Angst verschmutzt zu sein oder die Angst, einem selbst oder anderen Menschen könne etwas zustoßen. Trotz wachsender Bekanntheit dieser psychischen Störungen dauert es immer noch viel zu lange, bis sich Betroffene professionelle Hilfe bei einem Psychiater oder Psychotherapeuten holen. Ein Grund dafür ist die falsche Annahme, dass Angstsymptome, wie Herzrasen, Zittern oder Schwitzen auf eine körperliche Erkrankung hinweisen. Viele Betroffene schämen sich auch einfach, über die eigenen Ängste und zwanghaften Handlungen zu sprechen.

Diese Erfahrung machte auch Antonia Peters, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen (DGZ), ein gemeinnütziger Verein, in dem ärztliche- und psychologische Experten sowie Betroffene und Angehörigen sich gemeinsam gegen Zwangsstörungen engagieren. „Ich habe schon mit elf Jahren meine Erkrankung entwickelt, aber erst mit 25 habe ich mich getraut, zu einem Arzt zu gehen und ihm von meinem Zwang zu erzählen.“ Sie litt unter Trichotillomanie, dem zwanghaften Haare ausreißen. Immer dann, wenn sie sich überfordert fühlte, zog sie sich zurück und zupfte an ihren Haaren. „Um abzuschalten“, wie sie sagt. Wie viele andere Betroffene, bekam Antonia Peters erst nach etlichen gescheiterten Behandlungen die Diagnose der Zwangserkrankung und damit eine Therapie, die ihr geholfen hat.

Mit dem Ziel, die Versorgungssituation rasch zu verbessern, hat die DGPPN deshalb die Entwicklung einer S3-Behandlungsleitlinie „Zwangsstörungen“ initiiert. „Die Leitlinie bündelt das aktuell vorhandene Forschungswissen und stellt eine klare Entscheidungsgrundlage zur Behandlung und Betreuung von Menschen mit Zwangsstörungen dar. Sie enthält insgesamt 71 Empfehlungen und Statements, die auch den betroffenen Patienten und ihren Angehörigen transparent gemacht werden, um eine weitgehend selbstbestimmte Beteiligung am Behandlungsprozess zu ermöglichen“, erklärt Professor Fritz Hohagen aus Lübeck, einer der vier wissenschaftlichen Koordinatoren der Leitlinie.

Internet-Therapien versprechen schnelle Hilfe

Auch die DGZ nimmt ihr 20jähriges Bestehen in diesem Jahr zum Anlass, um im Rahmen einer Jubiläumstagung am 25. und 26. September in Prien am Chiemsee auf die neuesten Forschungsergebnisse und Therapiemöglichkeiten hinzuweisen. „Mit dem Thema ‚State of the Art bei Zwangsstörungen’ soll zusammengefasst werden, was nach zwanzig Jahren Forschung und Behandlung wirklich hilft und was nicht“, so Wolf Hartmann, Geschäftsführer der DGZ. Ein Schwerpunkt der Veranstaltung liegt deshalb auch auf neuen Therapieformen, wie den sogenannten ‚Dritte Welle Therapien’. Dabei will man den Betroffenen dabei helfen, mit nicht veränderbaren Gefühlen und Gedanken umzugehen. Das geschieht vor allem durch Übungen aus dem Achtsamkeits- und Akzeptanztraining, die schon lange in der Stressbewältigung angewandt werden.

Bei der Therapie von Angst- und Zwangsstörungen scheint auch der Einsatz des Internets vielversprechend. Ein Forschungsprojekt der Schön Kliniken ergab, dass eine allein über das Internet per Mail oder Video durchgeführte kognitive Verhaltenstherapie bei mäßig bis mittelschwer erkrankten Menschen zu deutlichen Verbesserungen führte. Die Patienten trugen dabei eine portable Videokamera um den Bauch und konnten so vom Therapeuten in für den Zwang kritischen Situationen – zum Beispiel zu Hause am Waschbecken – begleitet und unterstützt werden. Diese Internettherapien sind eine gute Alternative für Menschen, die nicht die Möglichkeit haben, regelmäßig an einer Verhaltenstherapie teilzunehmen, zum Beispiel weil sie in einer ländlichen Gegend leben. Sie sind auch eine Möglichkeit lange Wartezeiten bei der Therapeutensuche zu überbrücken.

Zentral für den Therapieerfolg bei Angst- und Zwangsstörungen ist laut Prof. Voderholzer auch der Kontakt zu anderen Betroffenen: „Mein persönliches Credo ist, dass Betroffene, die ihre Erkrankung erfolgreich bewältigt haben, künftig in der Therapie viel stärker zum Einsatz kommen sollten.“ Das hält auch Antonia Peters für eine gute Idee: „Ich kann anderen Betroffenen nur raten, sich nicht zu schämen, sondern sich anderen Erkrankten oder einem Therapeuten anzuvertrauen. Jeder denkt immer: ‚Oh Gott, was ich mache, ist so peinlich, das kann ich niemandem erzählen!’ Aber Therapeuten haben schon die kuriosesten Geschichten gehört.“

Tipps für Betroffene und Angehörige

Wer herauszufinden möchte, ob die eigenen Ängste übermäßig sind, kann einen Selbsttest auf den Seiten der Schön Klinik Roseneck machen: www.schoen-kliniken.de

Auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen finden sich ausführliche Informationen über Diagnostik und Therapie der Zwangsstörung: www.zwaenge.de

Download: pm15-07-aengste-und-zwaenge.pdf (138.63 KB)

Das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit ist eine bundesweite Initiative, gefördert vom Bundesministerium für Gesundheit. Zu den rund 80 Mitgliedsorganisationen zählen die Selbsthilfeverbände der Betroffenen und Angehörigen von Menschen mit psychischen Erkrankungen sowie Verbände aus den Bereichen Psychiatrie, Gesundheitsförderung und Politik. Gemeinsam setzen wir uns für einen offenen und toleranten Umgang mit Menschen mit psychischen Erkrankungen und den Abbau von Stigmatisierung und Diskriminierung in der der Gesellschaft ein. Initiiert wurde das Bündnis 2006 von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) gemeinsam mit Open the doors als Partner des internationalen Antistigma-Programms.