Frankfurt am Main – Derzeit findet in Deutschland nur jeder zweite Hausarzt, der aus Altersgründen seine Praxis aufgibt, einen Nachfolger. Allein um den jetzigen Stand der medizinischen Grundversorgung zu sichern, müssten jährlich mindestens doppelt so viele Fachärztinnen und Fachärzte für Allgemeinmedizin weitergebildet werden wie bisher.
Ein modernes Gesundheitssystem benötigt als Fundament eine flächendeckende, wohnortnahe und patientenorientierte Grundversorgung durch Hausärzte. Dies gilt erst Recht in einer Gesellschaft des “längeren Lebens”, in der chronische Erkrankungen zunehmen und die Medizin insgesamt immer spezialisierter und kleinteiliger wird. Einer muss hier den Überblick behalten. Insbesondere Patienten mit mehreren chronischen Erkrankungen wünschen und benötigen eine zuverlässige Betreuung aus einer Hand sowie eine Vertrauensperson, die sie durch das für sie oft unüberschaubare Gesundheitswesen begleitet. Somit stellt die Sicherung der gesundheitlichen Grundversorgung der Bevölkerung, nicht zuletzt auch im ländlichen Raum und in schwächer strukturierten Gebieten der Ballungsräume, eine gesellschaftliche Aufgabe ersten Ranges dar.
Wirksame Lösungskonzepte liegen vor, werden bisher aber nur halbherzig oder gar nicht umgesetzt. Die hier Verantwortlichen, allen voran Politik, Krankenkassen, Ärztekammern, Kassenärztliche Vereinigungen und Universitäten müssen nunmehr rasch und konsequent handeln. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) benennt im Folgenden die wichtigsten Maßnahmen zur Zukunftssicherung in drei zentralen Handlungsfeldern: Ausbildung, Weiterbildung und Niederlassung.
Feld 1: Medizinstudium (= Ausbildung)
Studierende der Medizin müssen im Rahmen ihrer Ausbildung, die überwiegend an hochspezialisierten Universitätskliniken stattfindet, auch die Gelegenheit bekommen, die Diagnostik und Therapie zahlreicher häufiger, in der Regel ambulant behandelter Erkrankungen praktisch kennen zu lernen. Viele häufige Patientenanliegen wie eine Mittelohrentzündung, ein unklarer Rückenschmerz oder eine Bronchitis kommen in der “Supramaximalversorgung” der Unikliniken praktisch nicht vor. Wie international bereits üblich, ist daher auch in Deutschland ein längerer Ausbildungsabschnitt in allgemeinmedizinischen Praxen sinnvoll und notwendig. Strategien zur Langzeitversorgung chronisch Kranker, der Umgang mit der gleichzeitigen Anwendung verschiedener Arzneimittel (Multimedikation), Hausbesuche oder die Versorgung in Alten- und Pflegeheimen können nur hier vermittelt werden. Dabei würden alle Studierenden, auch und gerade wenn Sie später z.B. als Chirurg oder Psychiater arbeiten, von einem intensiveren Ausbildungsabschnitt in einer allgemeinmedizinischen Lehrpraxis profitieren. Mehrere Studien zeigen, dass Praktika in Lehrpraxen und das persönliche Kennenlernen dieses Berufsfeldes nicht nur die Ausbildung verbessern und verbreitern, sondern auch die Bereitschaft erhöhen, nach dem Studium eine Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin anzustreben.
Zur Verbesserung der Ausbildung zukünftiger Ärztinnen und Ärzte sowie zur Sicherstellung der medizinischen Grundversorgung schlägt die DEGAM deshalb vor:
– Eine für alle Studierende verbindlich vorgeschriebene
Ausbildungszeit in allgemeinmedizinischen Lehrpraxen (sog.
PJ-Quartal Allgemeinmedizin)
– Frühzeitiger Kontakt aller Medizinstudierenden auch zu
“normalen” Patienten in allgemeinmedizinischen Praxen
– Einrichtung allgemeinmedizinischer Lehrstühle an allen
medizinischen Fachbereichen der Universitäten (bisher bestehen
erst an 22 von 37 Medizinfakultäten eigenständige Institute oder
Abteilungen für Allgemeinmedizin)
Feld 2: Weiterbildung
Es gibt in Deutschland junge Ärzte/innen, die motiviert sind, Facharzt/ärztin für Allgemeinmedizin zu werden, denen dieser Weg aber aufgrund regional ausgeschöpfter Fördertöpfe bei der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung verwehrt wurde. Die Weiterbildungszeit zum Facharzt/ärztin – die meistens direkt an das Studium anschließt – dauert mindestens fünf Jahre, von denen in der Regel drei Jahre im Krankenhaus und zwei Jahre in der ambulanten hausärztlichen Versorgung abgeleistet werden. Da Ärzte in Weiterbildung noch unter Aufsicht tätig werden und (in der Praxis) keine Leistungen abrechnen dürfen, hat der Gesetzgeber für bundesweit mindestens 5.000 Stellen ein Förderprogramm zur Weiterbildung der dringend benötigten Allgemeinärzte geschaffen. Aufgrund fehlender bundesweiter Abstimmung und infolge von regionalen Auseinandersetzungen zwischen Haus- und Fachärzten, kommt es hier wiederholt zu völlig unnötigen Umsetzungsproblemen. Die DEGAM schlägt vor:
– Jede/r junge Arzt/Ärztin, die/der sich für das Fach
Allgemeinmedizin entscheidet, muss zukünftig einen verbindlich
garantierten Förderanspruch in Form eines persönlichen
Weiterbildungsbudgets für die gesamte Dauer der Weiterbildung
bekommen.
– Zur Überwindung organisatorischer und fachlicher Hürden sollten
flächendeckend regionale Weiterbildungsverbünde, bestehend aus
weiterbildenden Kliniken und Praxen, aufgebaut werden.
– Zur Gewährleistung einer nahtlosen Verbindung zwischen
universitärer Ausbildung und Weiterbildung sollen nach bereits
erfolgreichen nationalen und internationalen Vorbildern für alle
37 Medizinfakultäten Kompetenzzentren für die Weiterbildung
Allgemeinmedizin geschaffen werden. Sie helfen beim Wechsel von
der universitären Ausbildung in die Phase der Weiterbildung zum
Facharzt/ärztin, indem sie fachliche Begleitseminare
organisieren, den Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung Mentoren
zur Seite stellen und fachlich-didaktische Schulungen für die
Seminarleiter anbieten. Die Qualität wird dabei durch
regelmäßige Befragungen der Teilnehmenden gesichert.
– Zur gezielten und einheitlichen Unterstützung der in Aus- und
Weiterbildung notwendigen Maßnahmen soll eine “Förderstiftung
Allgemeinmedizin” geschaffen werden, an der alle
Verantwortlichen und Kostenträger sowie Bund und Länder
beteiligt sind.
Feld 3: Niederlassung in der Praxis
64 % der neuen Fachärzte für Allgemeinmedizin sind weiblich, Tendenz steigend. Die Mehrzahl der jungen Ärztinnen und Ärzte möchte nicht mehr als Einzelkämpfer in eigener Praxis arbeiten und bevorzugt stattdessen die Anstellung in einer Gemeinschaftspraxis. Um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können, werden oftmals Teilzeitarbeitsverhältnisse gesucht. Die Hausarztpraxis der Zukunft wird daher in der Regel eine Teampraxis sein, in der auch die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen (z.B. der Pflege) eine wichtige Rolle spielt.
Neue, kooperativ ausgerichtete Modelle zur Versorgung der Patienten, die sowohl der starken Zunahme chronisch und mehrfach Erkrankter als auch den Bedürfnissen des Nachwuchses entsprechen, sind sinnvoll, zum Teil sehr attraktiv und könnten je nach regionalen Bedürfnissen und Besonderheiten eine interessante Alternative zur klassischen Einzel-Hausarztpraxis darstellen. Jungen Ärzten/innen und ihren Familien muss es u.a. ermöglicht werden, dass sie in den von ihnen bevorzugten Ballungsräumen wohnen bleiben und dennoch einer (Teilzeit-)Tätigkeit in schwächer strukturierten bzw. ländlichen Gebieten nachgehen können. Es kommt hinzu, dass das Gespräch und die persönliche Zuwendung von Hausärzten immer noch schlechter bezahlt werden, als die Erbringung technischer Leistungen durch spezialisierte Fachärzte (z.B. Labor- oder Röntgenärzte). Hier muss ein fairer Ausgleich geschaffen und einer verbreiteten, gleichzeitig nebeneinander bestehenden Über-, Unter- und Fehlversorgung Einhalt geboten werden. Die DEGAM schlägt vor:
– Gezielte Förderung und Erprobung neuer Versorgungskonzepte, die
den Bedürfnissen chronisch kranker Patienten besser gerecht
werden und darüber hinaus für junge Ärzte/innen die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern,
– Umgestaltung des ärztlichen Honorarsystems und Aufwertung
insbesondere gesprächs- und betreuungsintensiver Leistungen,
– Ausgleich von nebeneinander bestehenden Bereichen mit
Überversorgung (z.B. unnötige Untersuchungen), Unterversorgung
(z.B. lückenhafte palliativmedizinische Betreuung von
Schwerkranken) und Fehlversorgung (Qualitätsmängel bei der
Durchführung von diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen).
Fazit
Die Sicherung einer flächendeckenden, wohnortnahen gesundheitlichen Grundversorgung der Bevölkerung ist eine nationale Aufgabe mit höchstem Stellenwert. Der Schlüssel zur Lösung dieser Aufgabe liegt in einer guten allgemeinmedizinischen Ausbildung der Medizinstudierenden und der professionellen Weiterbildung der dafür dringend benötigten Fachärzte/innen für Allgemeinmedizin. Die hausärztliche Versorgung aller Patienten hat nur dann eine Zukunft, wenn es gelingt, jetzt die Weichen richtig zu stellen und attraktive, in die Zukunft weisende Angebote zu machen.
Die DEGAM hat sich auch in 24 Zukunftspositionen (Allgemeinmedizin – spezialisiert auf den ganzen Menschen) nachdrücklich dazu geäußert, welche Elemente für eine gute Zukunft der Allgemeinmedizin und der hausärztlichen Praxis erforderlich sind: www.degam.de/fileadmin/user_upload/degam/Positionen/DEGAM_Zukunftspositionen.pdf