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Ist Patientenwürde Schnee von gestern?

Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland/ Ausgabe Dezember

Essen – Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland thematisiert im Leitartikel der Dezemberausgabe die Belastungen vieler Patienten aufgrund von Rabattverträgen über Hilfsmittel. Krankenkassen dürfen im Zuge des Sparwahns der deutschen Gesundheitspolitik die Hilfsmittelversorgung – dazu zählen z. B. Inkontinenzprodukte, Gehilfen, Rollstühle u.v.m. – ihrer Beitragszahler ausschreiben. Die Folgen für die betroffenen Patienten sind oftmals drastisch: Statt das gewohnte und qualitativ hochwertige Produkt aus der Apotheke oder dem Sanitätshaus zu beziehen, müssen sie in vielen Fällen minderwertige Produkte akzeptieren und sich mit einem stark eingeschränkten Service abfinden. Zustände, die gerade die Lebensqualität älterer oder behinderter Menschen massiv einschränken.

Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland erscheint monatlich mit einer Auflage von 1 Million Exemplaren und ist kostenlos in Apotheken erhältlich.

Rabattverträge auf Hilfsmittel WIE WEIT DÜRFEN DIE KASSEN GEHEN?

Menschen, die auf einen Rollstuhl oder eine Gehhilfe angewiesen sind, sollen Tage auf die Reparatur ihres Hilfsmittels warten, Inkontinenzpatienten sollen sich mit undichten Windelhosen herumschlagen und Prothesenträger sollen zugunsten billiger Alternativen auf ein Stück Lebensqualität verzichten.

Was sich liest wie ein medizinischer Albtraum, ist seit der aktiven Umsetzung der Rabattverträge auf Hilfsmittel bittere Realität geworden. Das 2007 in Kraft getretene „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV-WSG) ermöglicht es Krankenkassen, die Hilfsmittelversorgung ihrer Patienten auszuschreiben und auf diesem Weg Rabattverträge mit Lieferanten von Hilfsmitteln zu schließen. Für Menschen, die auf Hilfsmittel angewiesen sind, hat diese Praxis jedoch fatale Folgen. Vor den Rabattverträgen konnten Patienten die benötigten Produkte von einem Anbieter ihrer Wahl – einer Apotheke oder einem Sanitätshaus in der Nähe – beziehen. Diese Nähe ist für Betroffene besonders wichtig: Der Partner des Vertrauens konnte defekte Hilfsmittel, z. B. Rollstühle, innerhalb weniger Stunden reparieren und Menschen, die auf Inkontinenzvorlagen angewiesen sind, konnten sich der Diskretion ihres Anbieters sicher sein. Dieses funktionierende System ist zumindest bei Krankenkassen, die ihre Hilfsmittelversorgung ausschreiben, Schnee von gestern: Ihre Patienten sind in vielen Fällen gezwungen, sich mit den Lieferanten zu behelfen, die die Zuschläge erhalten haben. Das hat gleich zwei Nachteile: Zum einen gibt es nur noch einige wenige Anbieter, die zum Teil 50 oder deutlich mehr Kilometer vom Wohnort des Patienten entfernt sitzen und schon allein aufgrund der räumlichen Distanz nicht so angemessen auf Anfragen und Probleme reagieren können wie ein Anbieter in der unmittelbaren Nachbarschaft. Das kann gerade für Patienten, die z. B. auf technische Hilfsmittel angewiesen sind, zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität führen. Zum anderen beklagen sich viele Betroffene über die Qualität der Hilfsmittel. Denn bei den Ausschreibungen der Krankenkassen geht es in erster Linie um den Preis der Produkte. „Billig gewinnt“, lautet die Devise, denn statt gewohnt hochwertiger Produkte müssen die Patienten nun schlechte Qualität hinnehmen. „Die Krankenkassen stampfen die Qualität der Hilfsmittel über die Rabattverträge zusammen“, klagt Wolfram-Arnim Candidus, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten e. V. (DGVP). „Die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen werden dabei nicht berücksichtigt.“

Besonders empörend: Der Großteil der Betroffenen hat kaum eine Chance, sich zu wehren, da es sich um ältere bzw. körperlich oder auch geistig eingeschränkte Menschen handelt, denen der Mut, die Kraft und die Möglichkeiten fehlen, um für ihr Recht auf eine angemessene Versorgung zu kämpfen. „Viele Menschen erdulden die neuen Zustände leidend“, bestätigt auch Candidus.

Abgesehen von der Einschränkung der Lebensqualität wird ein weiterer, nicht zuletzt auch wirtschaftlicher Faktor ignoriert: Die Kosten, die durch Folgeerkrankungen für das Gesundheitswesen entstehen, sind kaum abzuschätzen. Es ist für einen Inkontinenzpatienten nicht zumutbar, jeden Morgen in einem nassen Bett aufzuwachen, weil die Qualität der Vorlagen nicht ausreicht. Ebenso wenig ist es für das von den Beitragszahlern finanzierte Gesundheitswesen zumutbar, die Kosten zu tragen, die durch mögliche Folgeerkrankungen verursacht werden. Wundliegen und -sitzen durch nasse Windelhosen oder durch schlechte Polsterungen auf Rollstühlen können trotz aller Ignoranz der Kassen gegenüber der Problematik nicht ausgeschlossen werden. Die Berichte vieler Betroffener veranschaulichen das mehr als deutlich. Den Kassen wird dieses Verhalten einfach gemacht: Das „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ schreibt zwar vor, dass die Krankenkassen zur Sicherstellung der Qualität verpflichtet sind, doch Mindestanforderungen sind nirgends vermerkt. Wer also bestimmt, wie lange eine Inkontinenzvorlage sicheren Schutz bieten muss? Und wer legt fest, wie viel Lebensqualität ein Patient zugunsten des Sparwahns einzubüßen hat? Fragen, die weder von den Krankenkassen, noch von der Gesundheitspolitik beantwortet werden. Ein Freifahrtschein für alle Beteiligten. Nur der Patient bleibt auf der Strecke.

Die Folgen beeinflussen vor allem langfristige Therapieerfolge negativ. Während der stationären Versorgung eines Patienten – z. B. im Krankenhaus – wird in der Regel alles medizinisch Mögliche unternommen, um ein optimales Therapieergebnis zu erzielen. Wird der Patient dann mit einer angemessenen Versorgungsempfehlung für den häuslichen Bereich entlassen, holt die Realität ihn oder seine Angehörigen schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. In vielen Fällen werden die für den fortlaufenden Therapieerfolg nötigen Hilfsmittel nicht erstattet oder es wird auf günstige, aber unzureichende Alternativen verwiesen. Die Folgen sind unnötig und kostenintensiv, denn unter Umständen muss der Patient nach kurzer Zeit sogar zurück in die teure stationäre Versorgung.

Fraglich, ob die Gesundheitspolitik und auch die Krankenkassen jemals erkennen werden, dass „Experimente“ zulasten der Beitragszahler einer gehörigen Portion Weitblick weichen müssen, um die Gesundheitsversorgung wieder auf ein angemessenes Niveau zurückzuführen.

DIE WÜRDE DES MENSCHEN IST ANTASTBAR Ein Kommentar der Redaktion

Wie weit dürfen die Kassen noch gehen? Das ist eine der vielen Fragen, die man sich unweigerlich stellen muss, wenn man die Entwicklungen auf dem Hilfsmittelmarkt beobachtet. Die Bedürfnisse der betroffenen Versicherten werden nahezu vollständig ignoriert. Verbindliche Maßstäbe für die Qualität von Hilfsmitteln gibt es nicht. Kein Wunder, ist doch jeder Mensch und damit auch jeder Patient ein Individuum, dem man keinen Stempel aufdrücken kann. Diese die Würde des Menschen ignorierenden Methoden schieben das deutsche Gesundheitswesen noch stärker in Richtung einer Zweiklassenmedizin nach amerikanischem Vorbild. Wer es sich leisten kann, der zahlt aus eigener Tasche für Qualität, obwohl er womöglich schon seit Jahrzehnten in die gesetzliche Krankenversicherung eingezahlt hat und somit eigentlich Anrecht auf eine angemessene Versorgung haben sollte. Und was ist mit denen, die sich das nicht leisten können? Die müssen sich wohl oder übel mit minderwertigen Hilfsmitteln arrangieren. Betrachtet man die Entwicklungen der vergangenen Jahre, würde man sich nicht mehr wundern, wenn Inkontinenzpatienten künftig empfohlen würde, abends einfach weniger zu trinken, damit die Vorlage auch die ganze Nacht schützt. Würdelos.