Berlin – Die Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e.V. (DGIV) hat auf dem Hauptstadtkongress in Berlin ein neues Positionspapier ihrer AG Nachhaltigkeit vorgestellt. Der Fokus: Wie Ausschreibungs- und Vergabeverfahren im Gesundheitswesen künftig konsequent auf ökologische Nachhaltigkeit ausgerichtet werden können – ohne Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit zu gefährden.
Das Papier, verfasst unter der Leitung von Benjamin Nguyen geb. Roth, verweist auf die zentrale Rolle der öffentlichen Beschaffung in der ökologischen Gesamtbilanz des Gesundheitswesens. Der Sektor verursacht rund sechs Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland – etwa 80 Prozent davon entfallen auf vorgelagerte Lieferketten, insbesondere durch Produktion, Transport und Entsorgung medizinischer Güter. Ausschreibungen seien daher ein strategischer Hebel, um Emissionen zu senken – bislang jedoch weitgehend ungenutzt.
Konkret schlägt die AG Nachhaltigkeit eine auf drei Zieldimensionen basierende Vergabelogik vor, die Umweltwirkungen nicht nur berücksichtigt, sondern systematisch gewichtet. So sollen Kriterien wie CO₂-Bilanz, Ressourcenschonung und Kreislauffähigkeit künftig ebenso in die Bewertung einfließen wie Qualität und Preis. Ergänzend empfiehlt das Papier Anreizmechanismen wie Bonus-Malus-Regelungen oder gestufte Zuschlagssysteme, um ökologische Investitionen gezielt zu fördern. Flankiert werden müsse dies durch angemessene Gewichtungsspielräume, transparente Kriterienraster sowie eine klarere regulatorische Rahmung auf Bundesebene.
Zudem fordert die AG Nachhaltigkeit, das Wirtschaftlichkeitsgebot im SGB V um ein ausdrückliches Nachhaltigkeitsprinzip zu ergänzen. Auch eine Orientierung an internationalen Umweltstandards (z. B. ISO) sowie an europäischen Vorgaben wie „Green Public Procurement“ wird ausdrücklich empfohlen, um die Anschlussfähigkeit und Skalierbarkeit des Modells sicherzustellen. Langfristig brauche es eine Vergabekultur, in der ökologische Verantwortung strukturell mitgedacht und praktisch umsetzbar wird – über alle Sektoren, Produkte und Institutionen hinweg.
Allerdings benötigen die Krankenkassen hierfür finanzielle Spielräume, die nicht allein von Beitragszahlern getragen werden können. Es sei an der Politik, entsprechende Förderinstrumente und Anreizsysteme zu schaffen, um nachhaltige Beschaffung möglich und wirtschaftlich tragfähig zu machen. Als Beispiele nennt das Papier Mittel aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) sowie gesetzliche Öffnungsklauseln für nachhaltigkeitsorientierte Vertragsformen wie sogenannte „Grüne Wahltarife“.
Die DGIV betont: Nachhaltigkeit muss integraler Bestandteil von Versorgungsgestaltung sein – auch und gerade im Rahmen öffentlicher Ausschreibungen. Standardisierte, nachhaltige Vergabeverfahren bieten dabei einen sektorübergreifenden Hebel, um ökologische Kriterien im gesamten Gesundheitswesen wirksam zu verankern. Um diesen Hebel zu nutzen, braucht es gesetzliche Weichenstellungen und Finanzierungsoptionen, aber auch Umsetzungsintelligenz im Beschaffungsalltag.
Das vollständige Positionspapier „Ausschreibungen als strategischer Hebel für mehr Nachhaltigkeit in der Gesundheitsversorgung“ ist ab sofort abrufbar unter: https://dgiv.org/publikationen/